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Kräutermischungen
17.06.2015 12:25 (2873 x gelesen)

Kräutermischungen: Polizei schlägt Alarm

Von Jürgen Kümmerle
Die Kräutermischungen heißen Explosion, Ibiza More oder Freeze. Sie sind frei übers Internet beziehbar, und sie sind oftmals legal. Vermischt mit Tabak versprechen sie einen nie gekannten Rausch. Doch jetzt schlagen Polizei und Suchtexperten in der Region Alarm. „Die Auswirkungen von Kräutermischungen sind schlimmer als die von Heroin“, sagt Dieter Ackermann, Hauptkommissar beim Jugenddezernat der Polizei Heilbronn. 



Die Zahl der Vorfälle ist in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Kräutermischungen - das klingt ungefährlich, fast schon gesundheitsfördernd. Tatsächlich handelt es sich hierbei um sogenannte neue Psychoaktive Substanzen (NPS) wie beispielsweise künstliche Cannabinoide. In der Szene spricht man von Legal Highs.

Schwere Folgen, was den meist jugendlichen Konsumenten nicht bewusst ist: „Die Zusammensetzung der Kräutermischungen ist unbekannt“, weiß Dr. Jochen Graf, Oberarzt der Klinik für Innere Medizin am Gesundbrunnen in Heilbronn. Ackermann erklärt, warum. Herkömmliche Kräuter werden mit den NPS besprüht. Die Dosierung lasse sich nicht kontrollieren. „Die Konsumenten spielen Russisch Roulette mit ihrem Körper“, sagt Thomas Neugebauer vom Landeskriminalamt in Stuttgart. Die genaue Wirkung sei nicht vorhersehbar, so Graf. „Kurzfristige Folgen sind Verwirrtheit, Desorientierung, Aggressivität oder auch tiefe Bewusstlosigkeit. In Einzelfällen und je nach Schwere des Falles ist auch eine intensivmedizinische Überwachung notwendig.“ Über solche Fälle wissen die beiden Streetworker Irene Mutscheller und Ercan Efe von der Jugend- und Suchtberatung Heilbronn zu berichten. Erschreckend sei das Alter der Konsumenten. Schon 13-Jährige würden Kräutermischungen konsumieren. Ausfallerscheinungen, aggressives Verhalten oder Jugendliche, die unter Gedächtnisverlust leiden, hätten sie schon angetroffen. Langjährige Heroin- oder Marihuanaabhängige würden die NPS meiden.
„Zum Teil ist der Stoff 20 bis 30 Mal stärker als Cannabis“, sagt Efe.

Eltern, Lehrer und Jugendhilfeeinrichtungen berichten von massiven Verhaltensänderungen der Teenager, sagt Ackermann. Sie hätten keine Lust mehr, in die Schule zu gehen oder könnten sich nicht mehr konzentrieren. Er weiß von Kollegen, wie ein 15-Jähriger nach dem Konsum von Kräutermischungen reagierte: „Drei, vier Beamte bekamen den nicht mehr unter Kontrolle.“
Um die Kräutermischungen habe sich bei Jugendlichen ein regelrechter Kult entwickelt, berichtet Ackermann. Verlockend seien die bunten Verpackungen. „Dass die Substanzen gefährlich, sind,’ steht allerdings nicht drauf.“
Neben dem ansprechenden Design ist der relativ niedrige Preis ein Kaufanreiz. Meist werde übers Internet bestellt. Die Händler sitzen im Ausland.
Rund tun die Kräutermischungen habe sich auch in der Region ein florierender Markt gebildet. Teenager werden zu Dealern und bessern sich so ihr Taschengeld üppig auf. „Uns ist ein Fall bekannt, bei dem ein 16-Jähriger seine Freunde zu einer Party nach Frankfurt eingeladen hat“, sagt Suchtberaterin Mutscheller.
Eltern haben davon oftmals keine Kenntnis. „Die wissen nicht, was das für Kräuter sind“, bedauert Ackermann. Was die Verfolgung für die
Polizei schwierig macht: Nur ein geringer Teil der NPS falle unter das Betäubungsmittelgesetz. Und selbst wenn eine Substanz darunter gefasst wird, genüge eine geringfügige molekulare Veränderung des Rauschmittels, um es aus der Illegalität herauszunehmen, weiß Efe.
Der Gesetzgeber tut sich noch schwer mit einem generellen Verbot der NPS. Doch Experten hoffen nun auf ein Signal seitens der Politik.

Verbotsversuche
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat ein Verbot von Legal-Highs auf Anfrage des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen. Der EuGH entschied, dass Legal Highs nicht unter das Arzneimittelgesetz fallen. Seitdem wird aus Juristenkreisen versucht, Legal Highs unter das vorläufige Tabakgesetz zu stellen. „Der Gesetzgeber sollte reagieren und schnell eine sogenannte Stoffgruppenstrafbarkeit in das Betäubungsmittelgesetz aufnehmen“, forderte Achim Brauneisen, Generalstaatsanwalt in Stuttgart bereits 2014. Die Bundesdrogenbeauftragte hat einen Gesetzentwurf für das zweite Halbjahr 2015 angekündigt. Schon heute sind Legal Highs strafbar, wenn enthaltene Stoffe unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

Quelle: Heilbronner Stimme, 22.05.2015


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